Case study
100 Betriebe Stagebild grauer Hintergrund

Prozessabwärme aus der Raffinerie für die Fernwärmeversorgung Karlsruhes

Installation Wärmeübertrager (Rohrbündelapparate, Plattenwärmetauscher), Kreislaufpumpen, Heizzentrale, Bau von Transportleitungen
100.000 t/a

CO2-Einsparung

MiRO ist Deutschlands größter Kraftstofferzeuger und betreibt eine der modernsten und leistungsfähigsten Raffinerien in Europa. Für sehr viele Prozesse benötigt das Unternehmen Wärme. In Zusammenarbeit mit den Stadtwerken Karlsruhe wurde ein Wärmeverbund geschlossen. So kann der Wärmebedarf des Fernwärmesystems der Stadtwerke mit dem Wärmeüberschuss der Raffinerie gedeckt werden.

MiRO benötigt bei vielen Prozessen Wärme. Zur effizienten Nutzung der Wärmeenergie wird das Einsatzprodukt, z. B. Rohöl, zunächst in Wärmetauschern mithilfe ablaufender heißer Produktströme (Gasöle) vorgewärmt und danach in Prozessöfen auf die Einsatztemperatur erhitzt. Bevor das Produkt dann in einem Tank gelagert werden kann, muss es über Luft- oder Wasserkühler abgekühlt werden (Schlusskühlung). Hierbei fällt Abwärme mit Temperaturen bis zu 130 °C an, die in der Raffinerie bisher nicht wirtschaftlich genutzt werden konnte und daher ungenutzt in die Umgebung abgegeben wurde.

Die Stadtwerke Karlsruhe betreiben ein rund 190 km langes Fernwärmenetz und versorgen damit über 32.000 Wohnungen sowie zahlreiche Großkunden mit der Heizenergie Fernwärme. Im Fernwärmesystem der Stadtwerke Karlsruhe wird exergetisch niederwertiges Heizwasser als Trägermedium eingesetzt. Die notwendige Energie wurde vor der Umsetzung des Projekts mit fossilen Brennstoffen wie Steinkohle, Erdgas und Erdöl erzeugt.

Ziel des Gemeinschaftsprojekts war es, durch einen Wärmeverbund zwischen Fernwärmesystem und Raffinerie den Bedarf auf der einen Seite mit dem Überschuss auf der anderen Seite zu decken.

Die Wärme aus den Produktströmen der Raffinerie sollte genutzt werden, um in den Wärmeübertragern Wasser auf bis zu 125 °C aufzuheizen. Das heiße Wasser sollte dann unter Druck von der MiRO über eine neu zu bauende 5 km lange Transportleitung zur Fernwärmezentrale der Stadtwerke Karlsruhe im Heizkraftwerk West gepumpt werden. Hier kann die Raffinerieabwärme wiederum mithilfe von Wärmeübertragern in das Fernwärmenetz der Stadtwerke Karlsruhe eingespeist werden.

Um die Niedertemperaturabwärme aus den Prozessanlagen auskoppeln zu können, installierte die Raffinerie 20 hochmoderne Wärmetauscher. Die im Raffinerieprozess sonst üblichen Rohrbündelapparate haben einen hohen Platzbedarf. Daher wurden neben diesen vorrangig innovative Plattenwärmetauscher eingebaut. Diese sorgen mit ihrer kompakten Bauweise für eine effektive Wärmeübertragung auf engstem Raum und sind zudem sehr wartungsfreundlich. Sie bestehen aus wellenförmig profilierten Platten, die so zusammengesetzt sind, dass jeweils in den aufeinanderfolgenden Zwischenräumen einmal das Wärme abgebende Raffinerieprodukt und parallel daneben das Wärme aufnehmende Wasser fließen. Da es bisher nur wenig Erfahrung mit diesen Apparaten im Raffineriebereich gab, musste bei der Herstellung eine sehr aufwändige Qualitätssicherung stattfinden.

Zusätzlich zur installierten Druckleitung zum Fernwärmetransport werden auch von einer auf dem Raffineriegelände eigens installierten Heizzentrale im Karlsruher Norden liegende Stadtteile mit Fernwärme erschlossen. Diese Wärmeversorgung Nord versorgt über eine neue Fernwärmeleitung unter anderem zwei neu entstandene Wohnquartiere in Knielingen und Neureut komplett und nahezu CO2-frei mit Prozessabwärme direkt aus der Raffinerie.

Der gleichmäßige Rund-um-die-Uhr-Raffineriebetrieb darf durch die Abwärmeauskopplung nicht negativ beeinflusst werden. Das Lastprofil des Fernwärmenetzes unterliegt aber jahreszeitlich bedingt starken Schwankungen. Daher orientiert sich die Abwärmelieferung aus der Raffinerie am Tagesbedarfsmaximum, um bei Lastunterdeckung nicht nachheizen zu müssen. Dies hat allerdings zur Folge, dass zeitweise die Abwärmelieferung den Bedarf übersteigt. Um dennoch die Rücklauftemperatur des Heizwassers zur Raffinerie weitgehend konstant zu halten, wird die überschüssige Wärme im Heizkraftwerk West über einen Luftkühler rückgekühlt.

Wärmetauscher im MiRO-Werkteil 1
Wärmetauscher (4 Rohrbündel und 2 Platten) im MiRO-Werkteil 1 (Fotografen: Andrea Fabry/ Heinz Heiss / Christian Fernandez Gamio/ Julia Sedlmaier, MiRO)

Insgesamt steht den Stadtwerken nun Fernwärme mit einer Leistung von bis zu 90 MW aus der Raffinerie zur Verfügung. Damit stammt mehr als die Hälfte der Karlsruher Fernwärme aus der MiRO. Das Gesamtprojekt mit einer Investitionssumme von insgesamt ca. 64 Mio. Euro, inklusive der Kosten für die Wärmeversorgung Nord, erhöht auf der einen Seite die Energieeffizienz der Raffinerie um rund 5 % und auf der anderen Seite die Versorgungssicherheit und die Unabhängigkeit bei der Fernwärme von Primärenergiepreisen.

Da die Wärme aus der Raffinerie nicht extra in Heizkesselanlagen oder durch Kraft-Wärme-Kopplung erzeugt werden muss, entstehen unter anderem auch keine zusätzlichen CO2- Emissionen. Unter der Annahme, die verdrängte Wärme würde mit neuester Erdgas-Brennwerttechnik erzeugt, wird durch die Nutzung der Niedertemperaturabwärme der MiRO jährlich der Ausstoß von über 100.000 t CO2 vermieden. Damit ist die Wärmenutzung aus der Raffinerie das größte Karlsruher Umweltprojekt. MiRO und die Stadtwerke Karlsruhe leisten mit ihrem gemeinsamen Fernwärme-Projekt einen maßgeblichen Beitrag zu den ehrgeizigen Klimaschutzzielen der Bundesrepublik Deutschland und zur Energie- bzw. Wärmewende.

Der Primärenergiefaktor des zentralen Karlsruher Fernwärme-Stadtnetzes liegt dank der Realisierung des Großprojektes nun bei 0,26, bei der Wärmeversorgung Nord liegt er sogar bei 0,02. Die spezifischen CO2-Emissionen wurden auf rund 70 g pro kWh Heizwärme reduziert. Das ist ein Spitzenwert für ein großes städtisches Fernwärmenetz, so dass die Karlsruher Fernwärme auch alle Anforderungen der Energie-Einsparverordnung und der Erneuerbaren Wärmegesetze des Landes und des Bundes erfüllt.

Durch die Kooperation zwischen einem Privatunternehmen und einem mehrheitlich kommunal geführten Unternehmen wurde erstmals das Abwärmepotenzial einer Raffinerie sowohl mit einem bestehenden großen städtischen Fernwärmenetz als auch mit einem neu installierten Fernwärmetransfersystem verknüpft – ein Pilotprojekt mit Signalwirkung für andere Städte und Industriebetriebe im In- und Ausland.

Diese Art der Abwärmenutzung eignet sich grundsätzlich auch für andere Neubaugebiete und Nahwärmenetze mit nahe gelegenen Industriebetrieben, bei denen überschüssige Abwärme anfällt, die sich innerbetrieblich wirtschaftlich nicht nutzen lässt.

Mit dem Ausbau des Fernwärmenetzes in Karlsruhe erhöht sich der Nutzen sukzessive. Im Sommer ergibt sich durch die Nutzung der Raffinerieabwärme in Absorptionskälteanlagen ein weiteres Nutzungspotenzial.

Die Mineraloelraffinerie Oberrhein (MiRO) in Karlsruhe ist Deutschlands größter Kraftstofferzeuger und eine der modernsten und leistungsfähigsten Raffinerien in Europa. Für die Gesellschafter Phillips 66, Esso, Ruhr Oel und Shell veredeln die 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Rohöl zu hochwertigen Mineralölprodukten wie Benzin, Diesel, Heizöl, Propylen und Bitumen – rund 14 Mio. t im Jahr. Der Raffineriebetrieb ist energieintensiv. Zurzeit verbraucht die MiRO rund 6 % ihres Rohöleinsatzes für den Energieeinsatz (Strom, Dampf, Heizmedium) und hat damit im Vergleich zu anderen Raffineriestandorten bereits heute eine hohe Energieeffizienz, die aber auch zukünftig kontinuierlich weiter verbessert werden soll.

Die Stadtwerke Karlsruhe sind ein Energie- und Wasserversorgungsunternehmen mit Netzservice-Tochter und rund 1.100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Anteilseigner ist mehrheitlich die Stadt Karlsruhe. Zentrale Geschäftsfelder der Stadtwerke Karlsruhe sind die Versorgung der Stadt mit Fernwärme, Strom und Erdgas sowie die Trinkwasserversorgung für 400.000 Menschen in der Region. Verschiedene Wärme- und Kältedienstleistungen sowie Contracting und Consulting sind vielversprechende neue Geschäftsfelder. Investitionen in erneuerbare Energien und der Ausbau der Fernwärme sind Karlsruher Beiträge zur Energiewende.

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